Home Programm Grussworte 10 Rückblicke

FORUM OSTWEST 1996 – Michael Kurzwelly
Das Kennenlernen der Kunst- und Kulturszene im Nachbarland hatte schon bei den vorangegangen FOREN OSTWEST zu intensiven Kontakten und einem symbiotischen Austausch geführt. Nach den Erfahrungen von 1994 konnte es kein Zurück zu normalen Ausstellungen mehr geben. Mit dem Kunstprojekt „zeitweise öffentlich“ sollten Privatpersonen einbezogen werden, die ihr Zuhause für eine künstlerische Aktion bereit stellen. Eine Herausforderung für alle.
Michael Kurzwelly war einer der Künstler, die das Projekt umsetzten. Er gründete 1992 in Poznan das internationale Kunstzentrum. Es repräsentierte viele Jahre lang die freie polnische Szene und baute internationale Kontakte auf. Seine Arbeit ist geprägt vom kritischen Umgang mit Werten und Begriffen wie Vergangenheit und Zukunft. In seinen Installationen ist der Betrachter immer Teil des künstlerischen Prozesses – er soll durch sein Mitwirken das Werk direkt miterleben. Heute lebt Michael Kurzwelly in Frankfurt/Oder mit engen Kontakten ins Nachbarland Polen, ein Grenzgänger.

Er erinnert sich gut daran, wie Susanne Bonenkamp eines Tages in Poznan auftauchte und er sich von den Ideen des FORUM OSTWEST begeistern ließ. Für das Projekt „zeitweise öffentlich“ ließ sich in Bergisch Gladbach-Schildgen die Familie Bastong gewinnen. „Zuerst wurde ich zu einem Wochenendbesuch eingeladen, dann haben wir ein Konzept für das Projekt entwickelt“, erinnert sich Kurzwelly. Zögernd, dann mit immer mehr Begeisterung ließen sich die Bastongs ein: Im Wohnzimmer wurde eine Kabine gebaut für den Hausherrn, mit der Idee, sich zurückzuziehen in diesen absoluten Privatraum, wenn Leute zu Besuch kommen. Das Ehepaar zog voll mit, Hermann Bastong baute mit an der Kabine – ein Wohnzimmer im Kleinformat als Rückzugsgebiet mit Details aus den Beständen der Familie, ein Sessel, Stehlampe, Bilder an den Wänden, zwei Klapptüren zum Schließen der Kabine – eine halböffentliche Wohnsituation. „Das Projekt war eine große Bereicherung für mich persönlich, aber auch für die ganze Familie“, kann man in den Erinnerungen von Frau Bastong nachlesen. „Mein Mann, der dem ganzen Projekt zuerst distanziert gegenüberstand, näherte sich dem ‚Raum im Raum’ von Tag zu Tag bis zur vollen Akzeptanz.“

„Wer mitmacht, öffnet sich“, war die Erfahrung für Michael Kurzwelly. Er erinnert sich an den Beitrag von Jaroslaw Hulbój, der in einem Fachwerkhaus in Bergisch Gladbach-Herrenstrunden einen Faden von Tatra-Schafwolle über kleine Röllchen durch den gesamten Wohnraum führt, über dem Ess- und Arbeitstisch einen runden Spiegel in Rotation versetzt, angetrieben von einem Elektromotörchen im Gewölbekeller – Haus und Menschen wurden reflektiert, die Geschichte des alten Hauses geriet in Bewegung.
Michael Kurzwelly spricht von einem „Schneeballeffekt“, der durch die Idee „zeitweise öffentlich“ in die befreundete Künstlerszene getragen wurden. Alle machten begeistert mit.

Die interdisziplinäre Kommunikation war für Michael Kurzwelly der Ausschlag für die Weiterentwicklung der „partizipativen Kunst“. „Das Projekt war ein Schlüsselprojekt, ein Spiel zwischen öffentlichem und privatem Raum – ich mache das heute noch in anderen Projekten“, so Kurzwelly. 1999 führte er ein ähnliches Projekt in Frankfurt/Oder und der polnischen Nachbarstadt Slubice durch. Er entwickelte daraus das Konzept „Wirklichkeitskonstruktion“: „Einer Raumumordnung geht die Raumumdeutung voraus“, erklärt er. „Um diese Art des künstlerischen Eingriffs zu beschreiben, benutzte ich den Begriff ‚angewandte Kunst’. Ich verstehe ihn als Beschreibung einer künstlerischen Strategie, die gesellschaftliche Probleme fokussiert, in sie eingreift und sie in eine andere Wirklichkeitskonstruktion transzendiert. Ich stelle Werkzeuge her, um diese neue Realität in den Köpfen anderer Menschen entstehen zu lassen.“


© 2014 Rheinisch Bergischer Kreis | Kulturbüro