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von Karin M. Erdtmann
Bergisch Gladbach - Den ersten Korb holt sich Ingo Müller am
Bahnsteig. Mit rund 70 großen Briefumschlägen und einer
Flasche Wasser ist das Flechtwerk gut gefüllt. Zwar würde
ein dezenter Aktenkofer besser zu dem Mann im grauen Anzug passen,
doch für Müllers Mission käme allenfalls noch ein Jutesack
in Frage. Insgesamt 227 Texte polnischer Autoren will der Rezitator
im Business-Look unters Volk, beziehungsweise an den Fahrgast bringen.
Dafür pendelt er gemeinsam mit Barbara Suchanek und Christina
Diels auf der Bus-Linie 227 zwischen Bensberg und Leverkusen und preist
den Mitfahren seine "Literaturlotterie an.
Wer einen Umschlag wählt, darf den Inhalt (entweder eine Text
oder ein Gewinn in Form eines Buches oder einer CD) auf jeden Fall
behalten, bekommt ihn auf Wunsch sogar in aller Öffentlichkeit
vorgelesen. Damit will das Kulturbüro des Kreises für das
am Wochenende beginnende "Forum Ost & West und vor
allem für die Lesungen polnischer Autoren werben. Maria Nurowska,
Dorota Terakowska und Slawomir Mrozek werden im Bergischen aus ihren
Büchern lesen.
Obwohl Wählen nichts kostet sind viele skeptisch. " Ich
bin schon im Buchclub, lässt ein älterer Fahrgast
wissen und winkt ab. Das kriege er gar nicht alles gelesen.
Ticketkontrolle?
Ein anderer möchte nicht mitmachen, weil er seine Brille nicht
dabei hat.
Einige Reihen weiter hinten wähnt eine Mitfahrerin eine Ticketkontrolle
und sucht nach dem Fahrschein, als sich Müller ihr nähert.
Kontrolle ja, Kurzgeschichte nein. Der Literaturlosverkäufer
zieht weiter und sucht seine Zielgruppe im Fonds des Gelenkbusses.
Der angesprochene Jugendliche ist indes mehr auf aktives Handeln als
auf passives Zuhören eingestellt, droht dem Werber mit der Weltliteratur
zunächst einen Schlag auf die Nase an, hört dann aber doch
kurz zu und entscheidet sich schließlich, den Text seiner Religionslehrerin
mitzubringen.
Manchmal passen die kurzen Passagen aber auch wie die Faust aufs Auge.
Eine Frau, die in Richtung Reha-Klinik fährt, zieht einen Text
zum Thema Krankheit, ein Iraker, der von Bensberg nach Gladbach unterwegs
ist, erwischt eine "Fern der Heimat-Passage eines Schrifstellers
im Exil.
Oft kommt Ingo Müller auch der Zufall zu Hilfe. Da reicht die
Ampelphase gerade noch aus, um zu hören, wie ein genervtes Rotkäppchen
umprogrammgemäß gegen einen Fliegenpilz tritt oder kann
die Nobelpreisträgerin aus dem Nachbarland im Stau zwischen zwei
Haltestellen in Ruhe vom Ende des Jahrhunderts künden.
Manchmal dient die Lesung auf Rädern auch zur Beruhigung. So
kommt die Frau, die sich gerade noch lauthals darüber beschwert
hat, dass immer wieder Lastwagen die Haltestelle in Lückerath
blockieren, ebenso schnell auf andere Gedanken wie die Busnutzerin
aus Bensberg, die sich darüber ärgert, dass vor dem neuen
Zugang zur U-Bahn Aufzug und Rolltreppe defekt sind. " Man könnte
meinen, man wäre in Moskau.
"Ich habs nicht so mit Literatur, bekennt der Mann
mit dem bulligen Rottweilermischling, der den Schaffner mit dem Textkorb
kritisch aus dem Maulkorb heraus beäugt. Herrchen lässt
sich dann aber angesichts des gezückten Brieföffners doch
aufs Experiment ein und bereitwillig die Zeitung sinken.
Nach drei Fahrten sind die Körbe deutlich leerer geworden. Etwa
ein Drittel der Umschläge haben Interessenten gefunden. Jetzt
wird darüber nachgedacht, die Aktion während des Forums
Ost & West fortzusetzen, denn "eigentlich haben wir den Ehrgeiz,
auch den Rest an den Mann zu bringen, meint das Trio.
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