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von Timm Gatter
Was in aller Welt machte die Kulturreferentin des Rheinisch-Bergischen
Kreises, Susanne Bonenkamp, gestern um 15.12 Uhr auf dem Leverkusener
Busbahnhof, in ihrem Tross zwei junge Damen mit dunklen Einkaufskörben
und hellen Briefumschlägen und ein junger bebrillter Herr im
gedeckten Zwirn?
Auto kaputt? Verkehrssituation der großen Nachbarstadt inspizieren?
Nichts von alledem. Sie wartet auf die Wupsi-Linie 227 nach Bergisch
Gladbach. "Gute Fahrt", ruft sie ihrem einsteigenden Team
noch hinterher. Dann eilt sie zu ihrem Wagen, zurück in die Kreisstadt.
Im Bus begann derweil die Werbeveranstaltung für das vom 3. bis
zum 24. September im Rheinisch-Bergischen Kreis stattfindende "Forum
Ost & West". Das fünfte Kulturprojekt mit Polen warf
seine Schatten bis nach Leverkusen. Drei Tage lang wurde die Linie
227 an drei Terminen zum rollenden Literatur-Café.
Ingo Müller, der 31-jährige Leiter des Bergisch Gladbacher
"kalliopeEnsembles", ließ die Körbe mit den quadratischen
Briefumschlägen von Fahrgast zu Fahrgast reichen. Jeder konnte
sich bedienen - Textauszüge zeitgenössischer polnischer
Autoren verbargen sich darin in deutscher Übersetzung.
Und die las der Rezitator den verdutzen Fahrgästen mit leiser,
fast verhaltener Stimme vor - unterbrochen nur vom sanft ruckelnden
Anfahren und Bremsen des Busses an den Haltestellen auf dem Weg zur
Kreisstadt. Vorbote der geplanten Lesungen der leibhaftigen Autoren
während der Forumswochen im gesamten Kreisgebiet.
Wir haben genug Literatur heute im Unterricht gehabt", wehrten
die beiden 16-jährigen Schüler Jens und Klaus ab. Interessiert
waren sie aber trotzdem. Schließlich könnte im Umschlag
auch eine Überraschungs-CD oder ein Gewinnlos für die Forums-Lotterie
verborgen sein. Amüsiert lauschte hingegen die 18-jährige
Auszubildende Ribanna Jakab aus Schildgen dem Gedicht "Lob der
Träume" von Wislawa Szymborska.
Dafür ließ die Mitarbeiterin des Kölner Zoos gern
mal ihr über 400-seitiges Taschenbuch "Azral" von Wolfgang
Holbein auf der Aktentasche liegen. Mit dem Textbeginn "Im Traum
suche ich Vermeer van Delft" konnte sie zwar nicht viel anfangen;
der niederländische Maler war ihr eher unbekannt.
Doch die Idee der ungewöhnlichen Buslesung fand sie "toll"
und "beeindruckend". Später stöberte sie - wie
viele andere Fahrgäste auch - aufmerksam im beigelegten Forums-Programm.
Dass man ihr etwas verkaufen könnte, argwöhnte hingegen
die Bergisch Gladbacherin Gertrud Seeberger (74). "Ich bin schon
oft reingefallen, außerdem höre ich schlecht". Sie
kam mit ihrer Freundin vom Shopping in Leverkusen ("Hier kann
man prima einkaufen") und vermutete hinter den unverdrossenen
Worten aus "Der Artist" von Slawomir Mrozek eher Ranküne
als Hör-Genuss.
Unabhängig von den unterschiedlichen und zumeist aufgeweckten
Reaktionen sah sich Kulturreferentin Bonenkamp in ihrer Werbe-Idee
bestätigt, Literatur buchstäblich nach dem Zufallsprinzip
in der Linie 227 "erfahrbar" zu machen.
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